Lungenmikrobiom

Ökosystem mit extremen Bedingungen

Von Nadine Effert · 2023

Atmen ist lebenswichtig. Umso schwerer wiegen Erkrankungen eines unserer leistungsstärksten Organe, der Lunge. Vor allem Rauchende und Menschen, die, umgeben von starker Luftverschmutzung, leben, sind betroffen. Hoffnung auf verbesserte Therapien machen neue Erkenntnisse zum Mikrobiom der Lunge.

Mediziner hält eine virtuelle Lunge in der Hand
Foto: iStock/Natali_Mis

Unsere Lunge erbringt echte Top-Leistungen: 10.000 bis 20.000 Liter Luft atmen wir täglich automatisch ein und aus. Ohne diesen Vorgang könnte der Körper nicht mit lebenswichtigem Sauerstoff versorgt werden. In den feinen Verästelungen der Lunge erledigen rund 300 Millionen winzige Lungenbläschen einen wichtigen Job: den Gasaustausch. Heißt: Über die Oberfläche der Lungenbläschen wird Sauerstoff aus der Luft aufgenommen und Kohlendioxid aus dem Blut in die Lunge abgegeben. „Gesteuert wird die Atmung durch das vegetative Nervensystem und den Hirnstamm“, erklärt Sylvain Laborde von der Abteilung für Leistungspsychologie der Deutschen Sporthochschule Köln. „Wir haben Sensoren, sogenannte Chemorezeptoren, die erkennen, ob wir genug Sauerstoff und nicht zu viel Kohlendioxid im Blut haben, und dann die Aufnahme entsprechend anpassen.“

Das aus zwei Lungenflügeln bestehende Organ kann aber noch mehr: Es verfügt nämlich über gute Abwehrkräfte. So entledigt die Lunge sich grobkörniger Fremdpartikel mit einem reflexartigen Aushusten. Filigranere Eindringlinge machen Bekanntschaft mit riesigen Mengen an Zilien, auch als Flimmerhärchen bekannt, die in dichten Reihen nahezu den ganzen Atemtrakt auskleiden. Sie kehren Staub, Krankheitserreger und andere Fremdkörper weg von der Lunge in Richtung Rachen und Mund und übergeben den „Bekämpfungsstaffelstab“ an das Immunsystem. 

lungenmikrobiom: Mikroorganismen in Schieflage

Dennoch ist auch eine gesunde Lunge kein keimfreier Ort: Ähnlich dem Mikrobiom des Darms leben auch hier vielfältige Mikroorganismen, darunter Bakterien, Viren und Pilze. Bei Menschen mit zum Beispiel Asthma oder Mukoviszidose verändert sich dieses Ökosystem, es gerät in Schieflage, was Fachleute als Dysbiose bezeichnen. Neue Technologien machen es möglich zu erkennen, wie viele und welche Mikroorganismen die Lunge bevölkern. Dieses Wissen könnte in Zukunft für neue Behandlungsansätze, mit denen sich das Mikrobiom der Lunge aufbauen oder gezielt verändern lässt, genutzt werden. Forschungen hierzu laufen bereits auf Hochtouren. So etwa an der Medizinischen Hochschule Hannover (MHH). Dort hat ein Team um Professor Dr. Dr. Burkhard Tümmler die Zusammensetzung der Lungenflora bei Säuglingen und Kleinkindern mit und ohne Mukoviszidose untersucht. Dabei stellten die Forschenden fest, dass sich das Lungenmikrobiom der gesunden und kranken Kinder in den ersten drei Lebensjahren kaum voneinander unterscheidet. Erst mit zunehmendem Alter ändert es sich bei den Erkrankten. Die Vielfalt der Bakterienarten nimmt ab, die Krankheitskeime überwiegen und setzen sich chronisch in der Lunge fest, und das sensible Netzwerk bricht auseinander. „Aus unserer Studie geht hervor, dass für eine gesunde Lunge die Gesamtzusammensetzung des Mikrobioms entscheidend ist“, betont der Studienleiter. Bei Kleinkindern gebe es offenbar ein Zeitfenster, um die biologischen Prozesse in der Lunge günstig für den weiteren Krankheitsverlauf zu beeinflussen.

Rauchen: Feind Nummer eins

Ein Faktor, welcher der bakteriellen Zusammensetzung schadet, ist das Rauchen. Menschen, die rauchen, nehmen eine Schädigung der Atemwege bewusst in Kauf, denn durch das Inhalieren wird die Selbstreinigung der Lunge behindert, und die Atemwege gereizt. 35 Prozent der Bevölkerung greifen aktuell zum Tabak und verursachen durch Folgekrankheiten mittelfristig steigende Kosten im Gesundheitssystem. Dass der Konsum von Tabak Lungenkrebs auslösen kann, ist bekannt. Rauchende sind zudem allgemein anfälliger gegenüber Umweltfaktoren wie Luftverschmutzung und neigen eher zu einer bronchialen Überempfindlichkeit mit allergischem Schnupfen und allgemein zu chronischen Entzündungen. Was vielen Tabak Konsumierenden jedoch nicht bekannt ist: dass Rauchen Hauptursache für COPD (engl. chronic obstructive pulmonary disease), zu der die zwei Krankheitsbilder chronisch obstruktive (verengte) Bronchitis und das Lungenemphysem (Überblähung der Lunge) gehören, ist. Bis zu 90 Prozent aller COPD-Fälle sind darauf zurückzuführen. Schätzungen zufolge leiden fast sieben Millionen Menschen in Deutschland daran – viele von ihnen, ohne sich dessen bewusst zu sein. Denn die irreversible Krankheit beginnt schleichend und wird häufig einfach auf das Älterwerden zurückgeführt. Laut Schätzungen der Weltgesundheitsorganisation WHO wird COPD bis 2030 weltweit die dritthäufigste Todesursache sein.

Grafik: Absatz von versteuerten Zigaretten in Deutschland (1965–2022)

Belastung durch Luftschadstoffe

Ein weiteres erhebliches Gesundheitsrisiko, welches wir nicht so einfach – mit einem Rauchstopp – beeinflussen können, stellt die Luftverschmutzung dar. Die Lunge ist aufgrund ihres hohen Luftdurchsatzes in erheblichem Maße verschiedensten Schadstoffen ausgesetzt, die als Aerosole in die Atemluft gelangen. Im Feinstaub sehen Fachleute einen der gefährlichsten Vertreter, denn die Staubteilchen dringen tief in die Lunge ein. Sogenannter ultrafeiner Feinstaub kann sogar direkt in das Blut übergehen und so zu anderen Organen gelangen. Laut der „Analyse zur Luftqualität in Europa 2022“ der Europäischen Umweltagentur (EUA) ist die Luftverschmutzung in Europa nach wie vor ein großes Problem und verursacht chronische Erkrankungen und vorzeitige Todesfälle. Laut aktuellen Schätzungen der EUA verstarben im Jahr 2020 in der EU mindestens 238.000 Menschen vorzeitig, weil sie Feinstaub-Konzentrationen ausgesetzt waren, die den WHO-Richtwert von fünf Mikrogramm pro Kubikmeter überschritten haben. Die Stickstoffdioxid-Belastung, die insbesondere die Gesundheit von Menschen mit Asthma verschlechtert, führte zu 49.000 und erhöhte Ozonwerte zu 24.000 vorzeitigen Todesfällen. Es zeigt sich, dass eine Verbesserung der Luftqualität, etwa durch strengere Emissionsgrenzwerte und bessere Aufklärung der Bevölkerung, nicht nur im Hinblick auf das natürliche Ökosystem relevant ist, sondern eben auch für das Ökosystem Lunge.

Quellen:
www.atemwegsliga.de
Medizinische Hochschule Hannover: Wie sich eine gesunde Lunge bei Kindern entwickelt

Schon gewusst?

Jedes Jahr am 31. Mai wird der Weltnichtrauchertag begangen, um auf die gesundheitlichen Gefahren von Tabakkonsum aufmerksam zu machen und diesen einzudämmen. Der diesjährige Aktionstag steht unter dem Motto „Wir brauchen Nahrungsmittel, keinen Tabak“. Ziel der weltweiten Kampagne 2023 ist es, das Bewusstsein für alternative pflanzliche Agrarerzeugnisse und Vermarktungsmöglichkeiten für Tabakanbauende zu schärfen und diese dazu zu ermutigen, stattdessen nachhaltige, nährstoffreiche Nutzpflanzen anzubauen.

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