HIV-Impfstoffprogramm

„Wir brauchen ein echtes Impfstoffprogramm“

Von Tobias Lemser · 2021

Portrait: Hendrik Streeck
Prof. Dr. Hendrik Streeck, Vorsitzender des Kuratoriums der Deutschen Aids-Stiftung

Prof. Dr. Hendrik Streeck, Vorsitzender des Kuratoriums der Deutschen Aids-Stiftung, gehört zu den führenden HIV-Forschern in Deutschland. Im Gespräch erläutert der Virologe, was es zur Ansteckung mit dem Virus zu wissen gilt und was jetzt politisch auf der Agenda stehen muss.

Prof. Streeck, in den vergangenen Jahren hat HIV an Angst und Schrecken verloren. Eine gefährliche Tendenz?

Die Auffassung von HIV ist zuletzt in eine falsche Richtung gegangen. Momentan herrscht der weit verbreitete Irrglaube, dass diese chronische Infektionskrankheit gar nicht mehr so gravierend ist. Zwar schlägt HIV inzwischen keinen lebensbedrohlichen Weg mehr ein, aber auch nur dann, wenn Betroffene dauerhaft Medikamente einnehmen. Ziel muss es sein, auch mit dem heutigen Welt-Aids-Tag, wieder vermehrt Aufmerksamkeit zu erzeugen. Schließlich versterben weltweit jedes Jahr rund 700.000 Menschen daran.

Eine ganz entscheidende Rolle spielt zudem das Testen!

Das ist richtig. Ist jemand HIV-positiv und wird früh behandelt, besteht eine ganz normale Lebenserwartung wie bei einem HIV-Negativen. Das Virus so stark zu unterdrücken, ist eine der Revolutionen in der Medizin. Hinzu kommt: Diese Therapie ist so gut wie nebenwirkungsfrei – ein immenser Vorteil, der auch epidemiologisch entscheidend ist. Denn ist jemand HIV-positiv und gut behandelt, kann er das Virus nicht mehr weitergeben. Heißt: Es ist sogar sicherer mit einem HIV-Positiven, der gut behandelt ist, ungeschützten Geschlechtsverkehr zu haben, als mit jemandem, der seinen HIV-Status nicht kennt.

Wann ist der richtige Zeitpunkt, sich testen zu lassen?

Ich rate jedem Menschen, der sexuell aktiv ist und mehrere Geschlechtspartner hat, mindestens einmal im Jahr einen HIV-Test zu machen. Man kann nur gewinnen, wenn man sich testen lässt.

Und was raten Sie im Akutfall, nach einem Risikokontakt?

In den ersten 72 Stunden kann man eine HIV-Infektion nach Exposition noch abwenden. Wenn jemand einen Risikokontakt hatte und etwa das Kondom gerissen ist, ist das ein Fall für die Notaufnahme. Mithilfe einer Postexpositionsprophylaxe, also der Gabe von Medikamenten, lässt sich eine Infektion noch vermeiden. Hier ist jedoch Eile geboten.

Doch man kann auch vorbeugen?!

Wer viele Risikokontakte hat, sollte über eine Prä-Expositions-Prophylaxe, kurz PrEP, nachdenken. Bedeutet: eine Pille am Tag, die einen davor schützt sich mit HIV zu infizieren und dies hoch effektiv und ohne den Einsatz von Kondomen.

Ist das nicht für manche ein Freifahrtsschein, Sex ohne Kondom?

Es gibt ja auch noch andere Infektionskrankheiten … Das stimmt. Als Freifahrtsschein sollte dies nicht gesehen werden, es ist prinzipiell zu einem Kondom zu raten. Ich glaube jedoch, dass man moralisch die sexuellen Einstellungen nicht steuern kann. Es wird immer Leute geben, die das Kondom weglassen, wenn sie PrEP einnehmen. Da die PrEP alle drei Monate neu verschrieben werden muss, muss sich der Patient regelmäßig beim Arzt vorstellen und wird dabei auf sexuell übertragbare Erkrankungen durchgecheckt.

Sind die Maßnahmen zur Früherkennung von HIV in Deutschland ausreichend? 

Die Pro­blematik ist ja, dass wir die Mittel haben, Aids zu beenden. Wir haben alle Werkzeuge, die es braucht. Die Anstrengung gegen so ein Virus vorzugehen ist im Vergleich zu Corona jedoch viel zu gering. Es kann nicht sein, dass wir jetzt – genau 40 Jahre nach Auftreten der ersten Fälle – noch immer kein echtes Impfstoffprogramm gegen HIV haben. Dabei hat uns Corona gezeigt, wenn wir es wollen und kollaborativ zwischen den Ländern arbeiten, könnten wir viel erreichen. Aber dazu bedarf es einer politischen Kraftanstrengung.

Wie sehen Sie diese bislang – gerade auch im Hinblick auf einen Impfstoff?

Bei COVID-19 hatten wir binnen Kürze acht Impfstoffe und über 30 in der Phase III. In über 30 Jahren HIV-Impfstoffforschung haben wir es bei lediglich acht Impfstoffversuchen in die Phase III gebracht. Dass es angesichts der Virusstruktur immens schwierig ist, hier zum Erfolg zu kommen, ist kein Geheimnis, dennoch gab es zu wenig Produkte in der klinischen Testung. Die mRNA Impfstoffplattform hat zum Beispiel im Affenversuch ganz gute Erfolge gezeigt. Die Zeit, die es aber braucht, dass diese Methode klinisch getestet wird, dauert zu lange. Grundsätzlich muss wieder deutlich werden, dass HIV weiterhin ein weltweites Problem ist.

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