Tabuthemen

Vom Schatten ins Licht

Von Nadine Effert · 2023

Fakt ist: Es gibt Tabuthemen. Über sie sprechen? In der Regel schwierig. Dabei ist ein Sichtbarmachen von Tabus nötig – zugunsten einer Normalisierung und um mit alten Regeln brechen zu können. Welches sind die Tabuthemen der Deutschen? Und findet heutzutage ein offenerer Austausch über Intimes statt? Antworten darauf hat eine aktuelle repräsentative Studie gefunden.

Frau flüstert
Foto: iStock / Harbucks

Bei Tabus geht es nicht wie im gleichnamigen Gesellschaftsspiel um das Vermeiden von einzelnen Wörtern, sondern um ganze Themen, und zwar meist ernste. Ob Frust im Bett, Geldsorgen, Tod, Regretting Motherhood, Missbrauch oder schwere Krankheiten – die Liste ist lang, und sie wird gefühlt nicht kürzer. Von einer enttabuisierten Gesellschaft sind wir auch hierzulande noch weit entfernt. Laut einer aktuellen „BRIGITTE”-Studie, bei der im Januar 2022 insgesamt 1.000 deutschsprachige Personen zwischen 16 und 75 Jahren befragt worden sind, gibt es bei 68 Prozent der Frauen und Männer mindestens ein Tabuthema, über welches sie mit niemandem sprechen. Die Top drei der „Shhh“-Themen sind dabei: Sexualleben, Unzufriedenheit mit dem Körper und Schönheits-OPs.

Gemachte No-Gos

Tabus gab es schon immer, in jeder Epoche, Kultur und Gesellschaft – und es wird sie wohl auch immer geben. Tabuthemen sind das Unaussprechbare, das Anstößige, und gerade deshalb üben sie eine fast magische Anziehung auf uns aus. Sie polarisieren, empören und sind ständig im Wandel. Wo alte Tabus verschwinden, tauchen neue auf. Oder sie werden forciert, etwa durch die Politik, wie das im März 2022 vom Senat des US-Bundesstaates Florida verabschiedete, umstrittene Gesetz zum Verbot der Themen sexuelle Orientierung und Geschlechtsidentität im lehrplanmäßigen Unterricht bis zur dritten Klasse zeigt. Die Prägung in der Kindheit, worüber man spricht und worüber nicht, darf nicht unterschätzt werden. Wer kannte ihn als Kind oder Teenager nicht, diesen Zustand zwischen Tabu und Neugier? Letztere führte nicht selten zu den versteckten Pornoheften unter dem Elternbett – und einem roten Kopf. Es gibt aber auch politische Entscheidungen, die dafür gefeiert werden, endlich mit Tabus zu brechen. Beispiel: die Einführung eines Menstruationsurlaubs in Spanien – wobei Frauen mit starken Regelbeschwerden sich sicherlich nicht wie im Urlaub fühlen. Über die Begrifflichkeit der Maßnahme könnte man also diskutieren.

Let’s talk about ...

Apropos diskutieren. Damit bestimmte Themen enttabuisiert werden, muss man über sie sprechen, auch kontrovers. Dies erzeugt im Idealfall mehr Akzeptanz und Verständnis. Aufklärung ist das A und O. Der Ansatz von Konrad Adenauer, dem ersten Bundeskanzler, der einst sagte: „Es gibt Dinge, über die spreche ich nicht einmal mit mir selbst“, ist der falsche. Dieser Meinung sind auch die Befragten aus der „BRIGITTE”-Studie, denn 67 Prozent der Frauen und 63 Prozent der Männer sagen, dass es ihnen sehr hilft, mit anderen offen über intime oder persönliche Themen zu sprechen. 

Beim öffentlichen Umgang und Diskurs mit Tabuthemen geht es auch darum, Betroffenen aufzuzeigen, dass sie mit ihren Emotionen und Beschwerden nicht allein sind. Schamgefühle spielen bei Tabuthemen eine große Rolle. Sie sind der Grund, warum selbst in der Familie oder unter Freunden geschwiegen wird – oder im Fall von körperlichen und psychischen Beschwerden keine Arztpraxis aufgesucht wird. 

Folgen des Schweigens

Dies kann fatale Folgen haben, zum Beispiel wenn um die eigene Sexualität ein Mantel des Schweigens gebreitet wird. „Sexuelle Probleme führen oft zu einer geringeren Lebenserwartung und Partnerschaftsqualität, erhöhter Depressivität und allgemeiner Unzufriedenheit“, heißt es im Männergesundheitsbericht der Stiftung Männergesundheit. Ob Männer mit Erektionsproblemen oder Frauen mit zu großen schmerzenden Schamlippen – Betroffenen braucht es nicht peinlich zu sein, ärztlichen Rat zu suchen. Denn Fakt ist: Man ist nie ein Einzelfall. Und die Chance auf ein freies, erfülltes oder auch beschwerdefreies Leben ist doch sehr verlockend, oder? 

Noch Luft nach oben bei Tabuthemen

Die gute Nachricht: Es ist – zumindest bei manchen Themen – ein tendenziell lockererer Umgang auszumachen. 89 Prozent der Frauen und 85 Prozent der Männer sind der Meinung, dass über Themen wie Sexualität, psychische Probleme oder die finanzielle Situation heute offener gesprochen wird als vor zehn Jahren – so ein weiteres Ergebnis aus der „BRIGITTE”-Studie, welche übrigens den Titel „Die neue Offenheit“ trägt. Gleichzeitig würden es rund zwei Drittel der Befragten bevorzugen, wenn die Menschen noch mehr über Intimes miteinander sprechen würden. Je mehr man über Tabus spricht und das Thema vom Schatten ins Licht rückt, desto mehr trägt man zu einer Enttabuisierung bei – für sich selbst, aber auch für viele andere!

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