Prävention von Volkskrankheiten

Ganzheitliche Betrachtung erforderlich

Von Nadine Effert · 2023

Volkskrankheiten sind weltweit auf dem Vormarsch – auch weil wir immer älter werden. Ein gesunder, aktiver, nicht zu stressbehafteter Lebensstil hilft dabei, solche Erkrankungen besser in den Griff zu bekommen oder ihnen vorzubeugen. Auch wichtig: Die Forschung muss am Ball bleiben.

Eine Frau greift sich mit schmerzverzerrtem Gesicht an die Nase.
Wer auf Dauer gestresst ist, schadet seiner Gesundheit. Foto: iStock / brizmaker

Sie plagen Millionen und kosten Milliarden: Volks- oder auch Zivilisationskrankheiten. Darunter sind Krankheiten zu verstehen, die aufgrund ihrer großen Verbreitung und wirtschaftlichen Auswirkungen von hoher gesellschaftspolitischer Bedeutung sind. Dazu zählen unter anderem Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Diabetes mellitus Typ 2, Arthrose, Depressionen und Krebs. 

In Zukunft mehr Betroffene

Viele dieser klassischen Krankheiten sind altersabhängig. Heißt: Die Zahl an Betroffenen wird zunehmen. Hochrechnungen zufolge wird in Deutschland im Jahr 2050 jede dritte Person 65 Jahre oder älter sein. Die höhere Lebenserwartung ist den vielen großen Durchbrüchen in der Forschung und damit verbundenen wichtigen Verbesserungen in Diagnose und Therapie zu verdanken.

Dennoch: Erkrankungen des Herz-Kreislauf-Systems gehören hierzulande zu den häufigsten Krankheits- und Todesursachen, gefolgt von Krebs. Andere weit verbreitete Krankheiten, wie etwa die rheumatischen, zu denen die Arthrose mit hierzulande etwa fünf Millionen Betroffenen zählt, oder Alzheimer sind bislang nicht heilbar. Volkskrankheiten bleiben daher eine Herausforderung für die Forschung. 

Viele Leiden „hausgemacht“

Nicht nur das Alter ist entscheidend. Viele Volkskrankheiten beruhen auf vermeidbaren Risikofaktoren. Dazu zählen Rauchen, zu hoher Alkoholkonsum, Übergewicht, eine schlechte Ernährung sowie zu wenig Bewegung. So geht aus einer groß angelegten Studie, die ein internationales Forschungsteam im August 2022 in „The Lancet“ veröffentlicht hat, hervor, dass fast jeder zweite Krebstod weltweit auf vermeidbare Risikofaktoren zurückzuführen sei. Bei den Herz-Kreislauf-Krankheiten kommen Bluthochdruck, hohe LDL-Cholesterinwerte und Diabetes mellitus als weitere Einflussfaktoren hinzu. 

Ein gesunder Lebensstil wirkt sich übrigens auch günstig auf die Gefäßgesundheit aus. „Die Bedeutung der kleinsten Gefäße und der Einfluss einer funktionierenden Mikrozirkulation auf unsere Gesundheit wird unterschätzt“, warnt Erhard Hackler, geschäftsführender Vorstand des Bundesverbands für Gesundheitsinformation und Verbraucherschutz (BGV). Denn sind die Durchblutung und der Stoffaustausch in den kleinsten Blutgefäßen gestört, können Müdigkeit, Abgeschlagenheit und eine erhöhte Infekt- und Stressanfälligkeit die Folge sein. 

Apropos Stress. Dauerstress ist ein ebenso relevanter, wenngleich oftmals ebenso unterschätzter Risikofaktor für körperliche und psychische Erkrankungen. Mit negativem Stress, sogenanntem Distress, wurden wir schon immer konfrontiert, allerdings wird er heute durch weitere, neue Auslöser hervorgerufen, wie Klimawandel, Krieg und Coronapandemie. Derartige Krisen führen laut Studien zu einer Zunahme einiger psychischer Krankheiten. 

Folgen psychischer Erkrankungen 

Die Fälle von Depressionen und Angststörungen seien weltweit allein im ersten Pandemiejahr um 25 Prozent gestiegen, vermeldete die Weltgesundheitsorganisation (WHO) im Juni dieses Jahres im Rahmen der Veröffentlichung des „World Mental Health Report 2022“. In Deutschland ist mehr als jeder vierte Erwachsene im Zeitraum eines Jahres von einer psychischen Erkrankung betroffen, wie die Deutsche Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie, Psychosomatik und Nervenheilkunde (DGPPN) berichtet. Nach ihren Angaben zählen zu den häufigsten Krankheitsbildern Angststörungen, Depressionen und Störungen durch Alkohol- oder Medikamentenmissbrauch. 

Allein an Angststörungen leiden etwa 15 Prozent der Deutschen. Schätzungen zufolge wird rund die Hälfte aller Angststörungen nicht erkannt und deshalb nicht richtig behandelt. Die Folge: Es drohen Chronifizierung und Begleiterkrankungen wie Depressionen oder Sucht

Stichwort Alkohol: Gemäß Epidemiologischem Suchtsurvey (ESA) 2021 konsumieren 7,9 Millionen Menschen der 18- bis 64-jährigen Bevölkerung in Deutschland Alkohol in gesundheitlich riskanter Form. Alkoholmissbrauch ist einer der wesentlichen Risikofaktoren für zahlreiche chronische Erkrankungen. Die volkswirtschaftlichen Kosten durch dieses Suchtmittel betragen rund 57 Milliarden Euro pro Jahr, heißt es im „Jahrbuch Sucht 2022“. 

Mentale Gesundheit für die Prävention von Volkskrankheiten im Fokus

„Psychische Gesundheit geht mit körperlicher Gesundheit Hand in Hand“, stellte auch WHO-Generaldirektor Tedros Adhanom Ghebreyesus bei der Vorstellung des Berichts fest. „Investitionen in die psychische Gesundheit sind Investitionen in ein besseres Leben und eine bessere Zukunft für alle.“ Die mentale Gesundheit sei jahrzehntelang vernachlässigt worden. Alle Länder müssten mehr tun, um den Betroffenen zu helfen. Dies ist auch das Resümee von DGPPN-Präsident Prof. Dr. med. Thomas Pollmächer: „Psychische Erkrankungen führen häufig zu sozialem Abstieg, Armut und Diskriminierung und noch viel zu oft zu einem Suizid. Trotzdem sind Prävention, Versorgung und Rehabilitation in Deutschland noch längst nicht so aufgestellt, wie es für die Betroffenen notwendig wäre.“ Die psychische Gesundheit müsse daher verstärkt auf der politischen Agenda stehen.

Netzwerk als Tempomacher

Zur konzertierten Bekämpfung der Volkskrankheiten wurden in Deutschland sechs Deutsche Zentren der Gesundheitsforschung (DZG) ins Leben gerufen, zwei weitere sind geplant, darunter eines für die psychische Gesundheit. „Die DZG setzen da an, wo vielversprechende Forschungsergebnisse leider noch viel zu häufig stecken bleiben: zwischen Labor und Krankenbett“, erklärt Prof. Dr. Werner Seeger, gegenwärtiger DZL-Sprecher und Vorstandsvorsitzender des Deutschen Zentrums für Lungenforschung (DZL). „Diese Phasen der Forschung sind aufwendig, teuer und häufig von Rückschlägen geprägt. Sie bringen oftmals keinen schnellen wissenschaftlichen Ruhm ein und werden auch als ‚Tal des Todes‘ bezeichnet. In den letzten zehn Jahren konnten die DZG vielfach Brücken über dieses Tal schlagen, damit Forschung bei den Menschen ankommt.“

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